Warnschutz – worauf kommt es an? 

Gut sichtbar sein bei jedem Einsatz und bei jeder Witterung. Moderner Warnschutz muss liefern, dem Träger Sicherheit geben – und von ihm gerne getragen werden. Welche Aspekte sind dabei wichtig und was sollten Entscheider beachten? Im Gespräch mit Dr. Claudia Waldinger, Leiterin des Referats Persönliche Schutzausrüstungen bei der BG Bau sowie mit Jan Kuntze von der DBL – Deutsche Berufskleider-Leasing GmbH. 


Frau Dr. Waldinger, wann und in welchen Bereichen muss Warnschutzkleidung eingesetzt werden?  

Dr. Claudia Waldinger: Der erste Schritt zur Antwort auf diese Frage ist eine Gefährdungsbeurteilung. Hier gehören die Punkte hinein, die die Umgebung des Arbeitsplatzes beschreiben und Gefahren, die sich durch die Tätigkeit an diesem Arbeitsplatz ergeben. Bei der Arbeitsplatzumgebung gilt es also beispielsweise, die Lichtverhältnisse zu betrachten: Wird bei Tag oder Nacht gearbeitet, unter Brücken, in dunklen Gassen zwischen hohen Häusern? Auch das Tempo des möglicherweise am Arbeitsplatz vorbeifahrenden Verkehrs ist zu berücksichtigen. Stichwort Geschwindigkeitslimits innerorts oder außerorts. Kurzgefasst: Je schneller der Verkehr fließt oder je weniger Licht vorhanden ist, desto höher muss die Klasse der Warnschutzkleidung sein. Dafür gibt die DIN EN ISO 20471 genaue Regeln vor, die wir auch in der DGUV-I 212-016 „Warnkleidung“* beschrieben haben.  

*https://www.bgbau.de/service/angebote/medien-center-suche/medium/warnkleidung 

Was muss Warnschutzkleidung heute leisten – was hat sich in den vergangenen Jahren geändert?  

Jan Kuntze: Veränderung gab es zunächst natürlich durch die aktuelle Norm DIN EN ISO 20471. Diese brachte eine optimierte Anordnung der retroreflektierenden Streifen. Denn horizontale retroreflektierende Streifen und fluoreszierendes Gewebe umschließen heute den Torso sowie Hosenbeine und Ärmel ganz. Das führte zu der vom Gesetzgeber angestrebten 360°-Sichtbarkeit. Neben der geänderten Norm für eine gesteigerte Sicherheit gab es aber auch Veränderungen beim Thema Komfort.  

Dr. Claudia Waldinger: Heute wird in den Normen die Rundum-Sichtbarkeit gefordert. Das ist auch logisch, denn Menschen müssen ja von allen Seiten gut sichtbar sein. Warnkleidungtragende können, beispielsweise weil sie einer Tätigkeit nachgehen, den Straßenverkehr nicht ständig im Blick behalten. Egal, ob die Person sich dreht und wendet oder gar mit dem Rücken zur Fahrbahn steht. Verkehrsteilnehmer müssen die Person immer gut erkennen können.  

Was ist dabei für die Träger von Warnschutz entscheidend – ist hier auch der Komfort der Kleidung wichtig? 

Dr. Claudia Waldinger: Bequeme Warnkleidung macht aus Sicht der Berufsgenossenschaft sogar sehr viel Sinn. Denn nur wenn die Kleidung bequem ist, wird sie getragen und nicht bei der ersten Gelegenheit abgelegt. Doch ihr Einsatz muss unbedingt mit einer Gefährdungsanalyse einhergehen – kurze Hosen sind so ein Beispiel. Denn Warnschutzkleidung, die auf dem Bau, an der Straße oder im Landschaftsbereich eingesetzt wird, hat auch den Zweck eines mechanischen Schutzes. Eine Person, die z. B. im Sommer mit einem Freischneider arbeitet, um Gras am Straßenrand zu kürzen, könnte sich mit dem Freischneider kleine Steine an die Beine schießen. T-Shirts mit Reflexstreifen nach der DIN EN ISO 20471 sind wiederum sinnvoll. Denn auch im Sommer kommt irgendwann die Dämmerung und dann werden die Konturen der Trägerinnen und Träger durch die Reflexstreifen dargestellt. Unsere Aufgabe als Unfallversicherungsträger ist es auf jeden Fall zu beraten. Daher führen wir, besonders wenn die dunkle Jahreszeit beginnt, Informationskampagnen durch. Wer bei der Beschaffung unsicher ist, kann sich auch gerne persönlich hinsichtlich der Auswahl der richtigen Warnkleidungsklassen beraten lassen. Unsere Erfahrungen haben wir in der DGUV-I 212-016** zusammengetragen. 

**https://www.bgbau.de/service/angebote/medien-center-suche/medium/warnkleidung

Herr Kuntze - aus Sicht des textilen Dienstleisters: Was hat sich bei der Warnschutzkleidung verbessert?   

Jan Kuntze: Die Qualität der Reflexmaterialien und Warnschutzgewebe hat sich stark verbessert, zudem kamen auch neue Materialien wie Maschenwaren mit flexiblen Reflexstreifen auf den Markt. Das bedeutet in der Praxis für die Träger, dass sie heute jede Menge Auswahl auch an Ergänzungsartikeln haben.   

Was sind hier Beispiele? 

Jan Kuntze: Es gibt T-Shirts mit dehnbaren Reflexstreifen. Diese sind bei einigen Modellen so gesetzt, dass sie in Kombination mit passenden Shorts sogar die Warnschutzklasse 3 erreichen. Das ist natürlich bei hohen Temperaturen – und immer heißeren Sommern – komfortabler für die Träger. An dieser Stelle gebe ich Ihnen natürlich Recht, Frau Dr. Waldinger: Es ist hier immer durch die Gefährdungsanalyse zu prüfen, ob der Träger auch vor mechanischen Einwirkungen geschützt werden muss, oder ob es sich beispielsweise um einen Entsorgungsfahrer handelt, dem bei der Fahrertätigkeit der Sichtschutz in einer entsprechend zertifizierten Warnschutz-Shorts ausreicht. Das ist im Vorfeld zu klären – und hier zählt die kompetente Beratung. Bei den Ergänzungsartikeln kommt für die kalte Jahreszeit heute zudem entsprechender Wetterschutz sowie auch genormte Softshelljacken hinzu, die bequem und beliebt sind. Schnitte sind heute oftmals beim Warnschutz ergonomisch, es gibt zudem immer mehr Damenmodelle. Auch bieten heute hochwertige Kollektionen noch mehr Tragekomfort durch innenliegende Baumwolle – diese teils auch mit Fair-Trade-Siegel für mehr Nachhaltigkeit. In der Entwicklung sind aktuell selbstleuchtende Reflexstreifen – jene sind aber noch nicht leasingfähig.   

Frau Dr. Waldinger, wie bewerten Sie die steigende Auswahl an verschiedenen normgerechten Warnschutz Ergänzungsteilen, z. B. T-Shirts, Softshelljacken oder auch Damenmodelle? 

Dr. Claudia Waldinger: Es ist auf jeden Fall wünschenswert, wenn diese Entwicklung weitergeht, denn der Mensch ist ein Individuum und möchte seine Kleidung auswählen. Das gelingt nur, wenn es Auswahl gibt. Gerade die weibliche Figur wurde lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Dann gab es plötzlich Jacken mit einer Verstellmöglichkeit in der Taille und die Jacken wurden schicker. Kleine Features wie Innentaschen, Zwei-Wege-Reißverschluss oder ein Namensetikett können die Kleidung personalisieren und interessant machen. Warnkleidung kann man jedoch nicht einfach durch eine Schneiderin oder einen Schneider oder selbst verändern, denn dann passen vielleicht die Anforderungen an die Fläche oder die Menge der Reflexstreifen nicht mehr. Warnkleidung muss also so hergestellt werden, wie sie auch benutzt wird. Modische Schnitte und moderne Stoffe sind in jedem Fall ein Kaufargument. Heute hinzugekommen sind Forderungen nach Nachhaltigkeit. Gerade dieser Punkt ist bei Warnkleidung eine Herausforderung, denn die besonderen Farben müssen auf den Fasern haften oder darin eingeschlossen sein. Das ist ein Problem beim Recycling. Es gibt viele Herstellerinnen und Hersteller, die bereits bei der Herstellung von Warnkleidung auf Rohstoffe zurückgreifen, die aus einem Recycling-Prozess kommen, wie Fasern aus PE oder PP, also Polyethylen oder Polypropylen, Stichwort wiederverwertete Kunststoffflaschen. Umweltbewusste Einkäuferinnen und Einkäufer achten inzwischen auf solche Fakten. 

Worauf müssen Arbeitgeber achten, die ihren Mitarbeitern Warnschutz zur Verfügung stellen?  

Dr. Claudia Waldinger: Warnkleidung ist eine Persönliche Schutzausrüstung, die nicht nur der DIN EN ISO 20471 unterliegt, sondern auch den Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes. Darin steht sinngemäß, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Schutzausrüstung zum Schutz vor den Gefahren am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und diese Ausrüstung in einem gebrauchsfähigen Zustand halten müssen. Das umfasst also auch die Aufbereitung und Instandhaltung. Gibt ein Unternehmen die Warnkleidung im Leihverfahren an die Mitarbeitenden aus, dann wird durch festgelegte Zyklen, in denen die Kleidung zur Aufbereitung abgegeben wird, sichergestellt, dass die Kleidung immer in ordnungsgemäßem Zustand ist. Die Verleiherin oder der Verleiher der Warnkleidung wäscht die Kleidung und prüft, ob z. B. Beschädigungen vorliegen. Die Beschädigung wird beseitigt, bevor die Kleidung dem Mitarbeitenden wieder zur Verfügung gestellt wird. Dieses Verfahren wird allerdings vor allem durch größere Unternehmen angewandt. Die kleineren Unternehmen leisten sich das nicht, damit bleiben die Verpflichtungen bei der Unternehmerin oder dem Unternehmer. Es kann dann hilfreich sein, die Persönliche Schutzausrüstung einmal im Jahr in Augenschein zu nehmen und ggf. auszutauschen. 

Herr Kuntze, was ist hier aus Sicht des textilen Mietdienstleister und für dessen Kunden wichtig? 

Jan Kuntze: Beim Warnschutz dürfen die Reflexstreifen durch die Pflege nicht beschädigt werden und auch das fluoreszierende Gewebe darf seine Wirkung nicht verlieren. Bei der nach DIN EN ISO 20471 normierten Warnschutzkleidung erfolgt also zunächst eine Vorsortierung nach leuchtgelb oder leuchtorange. Nach zertifiziertem Waschprozess und Trocknung prüfen unsere Mitarbeiter der Qualitätskontrolle die Leuchtkraft des Warnstoffes und die Reflexion des Reflexstreifens. Entspricht das geprüfte Kleidungsstück nicht mehr den gewünschten Anforderungen, tauscht unsere Näherei die Reflexstreifen aus oder der Artikel wird komplett ersetzt. Ganz klar, die Kunden im Mietservice können sich so immer auf die Normkonformität ihrer Schutzkleidung verlassen.  

Eine letzte Frage, Frau Dr. Waldinger: Was sind beim Thema Warnschutz häufige und aus Sicht der BG BAU vermeidbare Fehler?  

Dr. Claudia Waldinger: Hier kann ich stichpunktartig einige Beispiele nennen: 

  • Die Kleidung wird unsachgemäß verändert, weil sie nicht passt. 
  • Es werden unterschiedliche Teile zusammengestellt, die nicht zusammengehören und man erreicht dadurch nicht die notwendige Warnkleidungsklasse. 
  • Über der Warnkleidung werden Arbeitsmittel getragen und damit Teile der Reflexstreifen verdeckt. 
  • Die Warnkleidung wird falsch aufbereitet und verliert ihre Warnwirkung. 
  • Die Warnkleidung verschmutzt, wird nicht gereinigt und verliert damit ihre Warnwirkung. 
  • Der fatalste Fehler ist allerdings, wenn die Warnkleidung gar nicht getragen wird. 
Frau Dr. Waldinger und Herr Kuntze – danke für das Gespräch.  

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